Datum:: 2025-06-30
Tags, Schlagwörter und ihre Grenzen
Das noch in der Entwicklung befindliche Obsidian-Plugin Base war mal wieder Anlass, sich grundsätzlich mit dem Einsatz von Tags und Schlagwörtern im digitalen Zettelkasten auseinanderzusetzen.
Base – konzipiert als Nachfolger des leistungsstarken, aber etwas sperrigen DB Folder – verspricht eine strukturierte Auswertung von Notizen auf Basis von Metadaten.
Stand Juni 2025 unterstützt es allerdings ausschließlich die Abfrage von YAML-Feldern. Keine Inline-Tags, keine wikilink-basierten Variablen im Fließtext – nur das, was oben im YAML-Block steht, ist derzeit nutzbar.
Ein technisches Detail vielleicht – und doch war es erneut Anlass zur methodischen Reflexion:
**Wie methodisch und technisch will ich Tags, Schlagwörter und Hashtags im Zettelkasten eingesetzen **
Zwischen Organisation und Illusion von Ordnung
Tags sind verführerisch. Sie lassen sich schnell setzen, fügen sich nahtlos in jede Oberfläche ein, sind Such- und Filterkriterien, und in vielen Tools sogar visuell prominent eingebunden. Auch in Obsidian oder Excalidraw nutze ich Tags: zur Anzeige von Bearbeitungsstatus, zur Filterung von Zettelarten oder um visuelle Hinweise zu geben.
Doch sobald es um mehr geht als um Klassifikation, geraten Tags an ihre Grenzen. Sie sind ungerichtet – sie verbinden nicht wirklich, sie markieren. Sie schaffen Cluster, keine Kontexte. Und sie sagen selten etwas über die Beziehung zwischen den Zetteln aus. Was hat ein Zettel mit dem anderen zu tun? Diese Frage beantworten Tags nicht. Sie können allenfalls andeuten: „Diese Zettel gehören vielleicht zu einem Thema“ – was immer das heißen mag.
Ein Schlagwort kann helfen, etwas wiederzufinden. Aber es ersetzt keine Verbindung. Die Bedeutung entsteht aus dem Kontext, nicht aus der Markierung mit einem Tag oder Schlagwort.
Bryan Jenks formuliert es noch zugespitzter: In seinem Video Tags vs. Links in Obsidian erklärt er, dass Tags das Graphenbild seiner Notizen nicht strukturieren, sondern lediglich dichte Punkte schaffen – die aber keine Richtung, kein Wissen tragen. Nur echte Links und Verknüpfungen ergeben ein Netzwerk, das lesbar wird.
Der Mythos vom Thema-Tag
Ein besonders tückischer Fall ist der Themen-Tag. Was auf den ersten Blick nach Klarheit aussieht – etwa #Aufmerksamkeit
, #Komplexität
, #Systemdenken
– führt oft in eine semantische Sackgasse. Die Tags häufen sich, ohne präzise Bedeutung zu tragen. Sie laden mehrdeutig auf, überschneiden sich, konkurrieren. Und spätestens bei der Rückschau fragt man sich: Was genau meinte ich damals mit diesem Schlagwort?
Auch hier hilft der Vergleich mit dem klassischen Zettelkasten: Luhmann nutzte keine Tags, sondern Folgezettel und Verweisnummern – also ein System gerichteter Beziehungen, das durch Zitation und Verlinkung einen Kontext aufbaute. Er vertraute auf das Netz, nicht auf die Etiketten.
Tags als Metadaten, nicht als Struktur
Trotzdem: Tags haben einen klaren Nutzen – solange man sie als das begreift, was sie sind: Metainformationen, nicht Strukturwerkzeuge. In meinem System verwende ich sie etwa so:
- zur Markierung der Zettelart (
#Zettel, #Notiz, #MOC
,#Zitat
,#Frage
) - zur Kennzeichnung des Bearbeitungsstands (
#Entwurf
,#FIXme
) - als visuelle Hilfen in Zeichnungen und Graphen (z. B. für Farben in Excalidraw)
Doch wenn es um echte Beziehungsarbeit geht – um das „Denken mit dem Kasten“ –, reichen mir Tags nicht. Dafür braucht es etwas anderes: explizite Verknüpfungen, gerichtete Relationen. Und genau das wird das Thema der Fortsetzung.
Quellen und Links
- Bryan Jenks:
- Tags vs. Links in Obsidian, YouTube
→ https://www.youtube.com/watch?v=efwAM5n9Dbg - My PKM System in Obsidian, YouTube
→ https://www.youtube.com/watch?v=QgbLb6QCK88 - My PKM Stack, Blog
→ https://www.bryanjenks.dev/pkm-stack/
- Tags vs. Links in Obsidian, YouTube
- Johannes F.K. Schmidt: Zettelkästen. Maschinen der Phantasie, Konstanz University Press, 2018
- Niklas Luhmann: Kommunikation mit Zettelkästen, in: Universitas, 1981 Niklas luhmann1981_Gespräch mit Zettelkasten.pdf