Datum:: [[2025-07-03]] N:: [[Lapidarium42]]
Mein Zettelkasten mit Obsidian und ExcaliBrain. Zwischen Chaos und Struktur
Als ich mein aktuelles Zettelkasten-System aufgesetzt habe, stand ich vor einem Problem, das vermutlich viele kennen: Über die Jahre hatte sich eine riesige Sammlung an Notizen, Gedanken, Zitaten und Dokumenten angesammelt – verteilt über wechselnde Formate und Tools. Immerhin schon in digitalem Format.
Mir war klar: Das alles muss in ein neues, einheitliches System überführt werden, das nicht nur zukunftssicher ist, sondern mir auch hilft, mit dieser Materialfülle zu arbeiten, statt von ihr erdrückt zu werden.
Die Entscheidung für Markdown als Grundlage war nach einiger Recherche schnell gefallen – offen, portabel auch zwischen Betriebssystemen, langfristig nutzbar. Aber wichtiger noch war mir, dass ich alles zunächst unsortiert in das System einspielen kann. Ich wollte nicht von Beginn an eine starre Ordnung erzwingen.
Mein Ziel war, ein Gleichgewicht zu finden: eine Verbindung zwischen ungeordneter Materialmenge und praktischer Ordnung, ohne die im Chaos schlummernde Kreativität zu zerstören. Ich wollte dem System erlauben, aus der Arbeit heraus zu wachsen – statt es am Reißbrett zu entwerfen.
Der entscheidende Impuls kam aus der Erfahrung: Immer wieder stieß ich auf alte Notizen, winzige Textschnipsel, die – zur richtigen Zeit wiedergefunden – verblüffend schnelle Lernerlebnisse auslösten. Solche Abkürzungen im Denken wollte ich gezielt fördern.
Struktur im Wandel
Heute basiert mein System auf Obsidian, ergänzt um das Plugin ExcaliBrain, das mir hilft, komplexe Zusammenhänge visuell zu überblicken.
Die Grundstruktur meiner Zettel gliedert sich in drei Haupttypen:
- Notizen: Texte, Kritzeleien, Zitate oder Bilder ohne formale Zuordnung. Ausgangspunkt vieler Einträge.
- Zettel: „In Form“ gebrachte Notizen mit Titel und Datum. Vergleichbar mit einem Beleg in der Buchhaltung.
- Texte: Ausformulierte Entwürfe, Entscheidungsgrundlagen, ausgearbeitete Gedanken.
Zusätzlich unterscheide ich funktionale Zetteltypen:
- Literatur-Zettel: angereicherte Lesennotizen und Zitate, oft aus Readwise importiert.
- Struktur-Zettel: eigene Texte, die andere Zettel verknüpfen, bündeln oder als thematische Einstiegspunkte dienen – angelehnt an die Maps of Content von Nick Milo (Linking Your Thinking).
Das Entscheidende bei Strukturzetteln ist nicht ihre Form, sondern ihre Funktion: Sie schaffen Kontext und laden zur Navigation ein. Damit unterscheiden sie sich grundlegend von dokumentierenden Zetteln.
Zettel werden durch Verlinkung und gezielte Metadaten miteinander verbunden. In meinem System nutze ich sowohl YAML-Felder als auch semantisch strukturierte Inline-Variablen im Text – ein Ansatz, der stark durch Brian Jenks geprägt wurde. YAML dient der internen Klassifikation (z. B. typ: Struktur
, bereich: Reisen
, art: Stellplatz
), während Inline-Variablen vor allem der Navigation dienen.
ExcaliBrain erzeugt aus diesen Angaben klickbare Mindmaps – eine dynamische, interaktive Form der Strukturvisualisierung.
Für die visuelle Orientierung orientiere ich mich am sogenannten Ideenkompass:
- Norden steht für übergeordnete Prinzipien, Theorien oder Kontexte,
- Süden für konkrete Details, Beispiele oder Prozesse,
- Westen markiert Ursprünge, Quellen oder Entstehungszusammenhänge,
- Osten verweist auf Ziele, Konsequenzen oder Anwendungen. Diese räumliche Anordnung hilft mir, Zettel in ExcaliBrain oder Excalidraw systematisch zu platzieren – und dadurch Denkwege schneller zu erfassen.
Denkprozesse sichtbar machen mit ExcaliBrain
ExcaliBrain hat sich als zentrales Werkzeug für die visuelle Reflexion meines Systems etabliert. Ich nutze es nicht als Zeichenfläche, sondern als automatisch erzeugte Karte: Es zeigt mir, welche Zettel wie miteinander verlinkt sind und welche Bedeutung die Verbindungen haben.
Besonders hilfreich ist das beim Überarbeiten: Ich sehe, welche Strukturzettel überladen oder isoliert sind, entdecke blinde Flecken oder unerwartete Brücken. ExcaliBrain ist für mich ein visuelles Diagnoseinstrument: Es macht sichtbar, wo mein Denken organisiert ist – oder eben nicht.
Vom Alltag zur Erkenntnis
Im Alltag funktioniert mein System wie eine Mischung aus Inbox, Denkwerkzeug und Schreibumgebung.
Neue Notizen entstehen unterwegs im Editor, aus Lektüre via Readwise oder aus gescannten Skizzen. Später arbeite ich sie gezielt um: in Zettel mit eigener Aussage, Struktur und Perspektive.
Ich will keine perfekte Ordnung, aber brauchbare Orientierung. Mein Zettelkasten ist kein Archiv, sondern ein Ort, an dem Texte entstehen – als Argumente, Reflexionen, Entscheidungen.
Was ich gelernt habe
Was ich heute anders machen würde? Ich würde früher mit wenigen, aber stabilen Kategorien arbeiten. Und ich würde noch konsequenter zwischen Metadaten und anklickbarem Text unterscheiden.
Vor allem aber habe ich gelernt: Ein Zettelkasten ist kein Regal, sondern ein offenes System. Er muss nicht ordentlich sein – sondern beweglich, anschlussfähig, widersprüchlich. Mein Denken hat sich nicht trotz des Systems entwickelt, sondern gerade durch den Umgang mit seinem Chaos.
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